The History of German

Bei der Beschäftigung mit älteren deutschen Texten bemerkt man sehr schnell, dass sehr vieles unter «Deutsch» fällt, was uns heute recht fremd und unverständlich vorkommt. Texte in deutscher Sprache sind nämlich ab dem 8. Jahrhundert überliefert und in dieser Zeitspanne haben sich natürlich die Sprache und die Überlieferungsformen verändert.

Die vorliegenden Texte unterscheiden sich auf verschiedenen Ebenen, z. B. im Wortschatz, in Wortformen, in Satzkonstruktionen oder im Textaufbau. Veränderungen zeigen sich ebenfalls in der Entstehung von Texten (Schreibmedium, Handschrift, Druck), in der Überlieferungssituation (Klöster, Kanzleien) und in den kommunikativen Entstehungsbedingungen (Kirche, Alltag, Recht, Kunst etc.).

Es ist hilfreich, sich bei der zeitlichen Einordnung eines Textes an den sprachgeschichtlichen Perioden zu orientieren. Den Vorschlägen von Jacob Grimm und Wilhelm Scherer folgend, teilen wir die Geschichte der deutschen Sprache in vier Abschnitte ein: Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch, Frühneuhochdeutsch, Neuhochdeutsch. Der deutschen Überlieferung geht noch eine Periode voraus, mit der erste schriftliche Zeugnisse des Germanischen erfasst werden. 
 

Suggested citation

Simone Berchtold: Ad fontes, die Sprachstufen des Deutschen, CC-BY, URL: https://www.adfontes.uzh.ch/tutorium/die-deutsche-sprache-in-den-quellen/die-sprachstufen-des-deutschen/.

500 v. Chr. bis 750 n. Chr. (West)Germanisch
(Voralthochdeutsch)
Runenüberlieferung, Einzelwörter in lat. Texten, Lehnwörter in nicht-germanischen Sprachen
750 - 1050 Althochdeutsch
inti thin quena Elysabeth gibirit thir sun


volle Neben- und Endsilben, differenzierte Endungsflexion
1050 - 1350 Mittelhochdeutsch
und Elîzabêth dîn hûsvrowe sal dir geberin einen sun


Nebensilbenabschwächung
1350 - 1650 Frühneu- hochdeutsch
1350 - 1650/1750
vnd deyn weyb Elisabeth wirt dyr eynen son geperen


mitteldt. Monophthongierung und nhd. Diphthongierung
ab 1650/1750 Neuhochdeutsch
Gegenwarts- deutsch
Deine Frau Elisabet wird dir einen Sohn gebären


überregionale und normierte Standardsprache, Umgangssprachen, Dialekte

Die Einteilung in Sprachstufen ergibt sich aus einer Kombination von sprachlichen und aussersprachlichen Kriterien.
Erstere erfassen Veränderungen auf den sprachlichen Ebenen, z. B. der Laute, der Wortbildung, des Satzbaus, der Textsorten, der Wortbedeutungen usw. Zweitere beziehen sich auf historische, soziale, ökonomische und kulturelle Hintergründe. Während beispielsweise in ahd. Zeit ausschliesslich in klösterlichen Skriptorien geschrieben wird, gewinnen ab mhd. Zeit auch städtische Schreibstuben an Bedeutung und in frühnhd. Zeit bringt der Buchdruck ganz neue Impulse für die Textproduktion.
Die Jahreszahlen (1050, 1350, 1650 usw.) sind als Orientierungshilfen und nicht als absolute Zeitangaben zu lesen. Solche Periodisierungen helfen, die gesamte Sprachgeschichte zu gliedern, können aber je nach Gewichtung einzelner Faktoren unterschiedlich ausfallen.

Runeninschrift auf einer Fibel aus Bülach (Schweizerisches Landesmuseum)
Die Inschrift auf der Rückseite ist in drei (bzw.vier) Zeilen angebracht;
die Lesung und Deutung ist unsicher:
Deutung 1: Fri-Fr_dil (= Männername), Rest undeutbar
Deutung 2: Frifridil, du f(a)t(o) mik - ll: «Frifridil (oder: 'Heissgeliebter'), umfasse (nimm) du mich - Lauch (='Gedeihen', 'Fruchtbarkeit')»
Deutung 3: Frifridil du f(a)t(o) mik - l l(id) f(ud): «Frifridil (oder: 'Liebliebster') umfasse mich, nimm mich in dir auf - Lauch (='Gedeihen', 'Fruchtbarkeit') - männl. ('lid') und weibl. ('fud') Geschlechtsteil»

Sprachlich gehört die Vorgeschichte des Deutschen zur Periode des Germanischen. Das Germanische kennt noch keine Textüberlieferung. In dieser Zeit werden jedoch Einzelwörter einerseits in lateinischen Texten, andererseits als Inschriften auf Gegenständen überliefert.
In spätantiken Quellen werden in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder volkssprachliche Wörter zitiert oder als Fremdwörter verwendet, wie z. B. in der Lex Alamannorum «quod Alamanni mortaudo dicunt» (mortaudo= 'Meuchelmord'). So wird eine Menge an Sach- und Rechtswörtern überliefert. Ebenfalls in lateinische Texte eingebettet sind sehr viele deutsche Orts- und Personennamen, z. B. 854 «Megenberti de Rocconwilare» (Personenname Megenbert und Ortsname Roggwil/TG; Lexikon schweizerische Gemeindenamen).
Die inschriftlichen Runen sind eine weitere Quelle für diese frühe Zeit. Runen sind die ersten geschriebenen Zeugnisse des Germanischen und wurden z. B. zu kultischen Zwecken verwendet. Auf Helmen, Schwertern und Fibeln wurden Wörter bzw. Namen angebracht. Weitere Hinweise auf das Germanische liefert der Lehnwortschatz in Nachbarsprachen, wie z. B. des Finnischen, in welche durch Kontakte germanische Wörter gelangt sind: finnisch kuningas ('König') aus germanisch *kuningaz.

Interlinearversion der Benediktinerregel (Cod. Sang. 916, p. 34, Stiftsbibliothek St. Gallen/Codices Electronici Sangallenses)

Nhd. Übersetzung: «Vom Gehorsam:
Die erste Stufe also der Demut ist Gehorsam ohne Zögern.»

Ab dem 8. Jahrhundert verfügen wir über schriftliche Überlieferungen in deutscher Sprache, die - im Gegensatz zum mittelalterlichen Latein - auch als Volkssprache bezeichnet wird.
Ausgangsform für die Sprachbezeichnung deutsch ist das ahd. Adjektiv diutisc ('zum Volk gehörig'), das in mittellateinischer Gestalt theodiscus in lateinischen Texten eingeführt wird. Es beruht auf dem germanischen Wort *þeudo für Volk.
Seit diesem Zeitpunkt werden Glossen in lateinische Handschriften zwischen die Zeilen (interlinear) oder am Rand (marginal) eingetragen. Daneben entstehen althochdeutsch-lateinische Glossare, die solche Textglossen sammeln und zum Teil nach Sachgruppen oder alphabetisch geordnet sind.
Erste autochthone althochdeutsche Texte treten um 800 auf. Die schriftlichen Aufzeichnungen stammen aus Klöstern wie St. Gallen (CH), Reichenau (D), Freising (D), Fulda (D) etc. Da das Althochdeutsche stark in den Kontext von Kirche und Kloster eingebettet ist, überwiegen Texte geistlichen Inhalts wie bspw. das in Versen verfasste Evangelienbuch Otfrids von Weissenburg. Die einzige erhaltene Heldendichtung aus dieser Zeit, das Hildebrandslied, verarbeitet das Motiv des Vater-Sohn-Kampfes.


Paradigma von ahd. himil 'Himmel' und rihhi 'Reich'

Das Althochdeutsche unterscheidet sich durch die Zweite Lautverschiebung von den anderen germanischen Sprachen. Ein Ergebnis dieses Lautwandels ist das Vorhandensein der Laute pf (vgl. engl. pipe und dt. Pfeife) und ts (vgl. engl. cat und dt. Katze). Daneben zeichnet sich das Ahd. durch volle Nebensilben aus, d. h. dass in Nebensilben sämtliche langen und kurzen Vokale vorkommen können, z. B. Gilih ist rihhi himilo treseuue giborganemo in accare (= 'das Himmelreich gleicht einem Schatz, der in einem Acker verborgen ist'). In den Endvokalen sind grammatische Informationen über Kasus und Numerus enthalten, z. B. rihhi Nominativ Singular, himilo Genitiv Plural, accare Dativ Singular. Das Ahd. hat also noch einen stark synthetischen Sprachbau.
Das Althochdeutsche ist jedoch keine einheitliche Sprache, also nicht mit einer modernen Standardsprache zu vergleichen. Es ist von Anfang an in verschiedene Mundarten und Schreibdialekte gegliedert, die grob in drei Grossgruppen eingeteilt werden können: Alemannisch, Bairisch und Fränkisch. Ahd. Texte weisen häufig eine Mischung aus verschiedenen Mundarten auf, da der Schreibort der Abschrift und der Entstehungsort des Originals nicht zwangsläufig identisch sind. Das Gedicht «Christus und die Samariterin» ist eine alemannische Abschrift eines fränkischen Originals und zeigt dadurch Elemente beider Mundarten.

Eine frühe deutsche Urkunde aus dem Klosterarchiv Einsiedeln, A.AS.8a (1248).

Von 1050 bis 1350 wird die Periode des Mittelhochdeutschen angesetzt. Als Kulturträger betätigt sich der Ritterstand, der sein kulturelles Leben nach französisch-provencalischen Vorbildern ausrichtet und auch literarische Stoffe aus diesem Raum importiert. Dadurch werden viele französische Lehnwörter übernommen, wie afrz. danse - mhd. tanz 'Tanz', afrz. raisin - mhd. rosîn 'Rosine'. Während in ahd. Zeit v. a. Kleriker Texte verfassten, werden diese nun von weltlichen Dichtern wie Walther von der Vogelweide oder Hartmann von Aue geschrieben.
Ab dem 12. Jahrhundert werden vermehrt auch Texte profanen Inhalts in Deutsch abgefasst. Um 1140 datiert das erste weltliche Epos, das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht, in dem er die Unternehmungen Alexanders des Großen bearbeitet. Die höfische Ritterliteratur entfaltet sich in der Epik - zentraler Stoff ist die Artussage - und in der Lyrik im Minnesang. Im Nibelungenlied wird germanischer Sagenstoff verarbeitet. Bedeutend ist auch das Entstehen einer deutschen Sachliteratur: Die ersten deutschen Urkunden sind um die Mitte des 13. Jahrhunderts überliefert.

Es bestand durchaus ein Bewusstsein für Sprache und sprachliche Unterschiede, wie Berthold von Regensburg (1210-1272) in seiner 18. Predigt festhält:

«Ir wizzet wol, daz die niderlender unde die oberlender gar ungelîch sint an der sprâche und an den siten. Die von Oberland, dort her von Zürich, die redent vil anders danne die von Niderlande, von Sahsen, die sint ungelîche an der sprâche.»
Übersetzung: Ihr wisst sicher, dass sich die Niederländer (= Bewohner Norddeutschlands) und die Oberländer in ihrer Sprache und ihren Sitten unterscheiden. Die im Oberland, jene in Zürich, reden ganz anders als jene im Niederland, in Sachsen; sie unterscheiden sich in der Sprache.

Sprachlich hebt sich das Mhd. vom Ahd. durch die sogenannte Abschwächung der Nebensilben ab, d. h. die Vokale der unbetonten Nebensilben werden zu einförmigem, schwachtonigem e reduziert oder fallen ganz aus. Der Nebensilbenverfall hat bei der Substantivflexion zur Folge, dass das Kasussystem weitgehend zusammenbricht. Informationen wie Kasus und Numerus gehen verloren. Dafür entwickelt sich der Artikel, auf den nun diese Kategorien übertragen werden:
Das ahd. gilih ist rihhi himilo treseuue giborganemo in accarelautet im Mhd. Daz himelrîche gelîchet einem acker, dâ ein schatz inne verborgen lît.
Diese Entwicklung bewirkt, dass der Sprachbau verstärkt analytisch wird. Zusätzlich zeigt sich die Auslautverhärtung und die Entwicklung des Umlauts zum Pluralzeichen.
Auch das Mhd. ist keine einheitliche Sprache, es gibt Regionaldialekte, die in mhd. Zeit lantsprachen genannt werden. Bei der Sprache der höfischen Dichter kann allerdings eine Tendenz zur Vereinheitlichung beobachtet werden: Landschaftlich gebundene Ausdrücke werden vermieden, um so eine überregionale Verständlichkeit zu erreichen.

Metzgerzunftsatzung aus St. Gallen, 1483
Die Tradition der St. Galler Bratwürste reicht also bis ins Mittelalter!
Stadtarchiv St. Gallen, Bd. 610, S. 27.

Das Frühneuhochdeutsche wird zwischen 1350 und 1650 mit der Herausbildung und Durchsetzung der überregionalen deutschen Schriftsprache angesetzt. Aussersprachliche Kennzeichen für den Beginn dieser Stufe sind der Niedergang der feudalen Ordnung und der Aufstieg des Bürgertums. In den Städten bilden sich Universitäten (älteste deutschsprachige Universität in Prag 1348) und ein Schulwesen heraus. Die Erfindung des Buchdrucks fällt ebenso in diese Zeit wie Humanismus und Reformation.
Mit der Zunahme der Schriftlichkeit im 14. Jahrhundert nimmt auch die Zahl deutschsprachiger Texte stark zu. Viele neue Bereiche finden nun erst Eingang in die Schriftlichkeit; überliefert sind Rechtstexte, Polizeiverordnungen, Protokolle etc. Einen breiten Raum nehmen satirische und didaktische Textsorten ein, neu entstehen auch die sogenannten deutschen Volksbücher wie «Ein kurzweiliges Buch von Till Eulenspiegel aus dem Lande Braunschweig» (1510/11). Es wird viel französische und italienische Literatur übersetzt und es entstehen erste sprachbeschreibende Textsorten wie Orthographielehren und Grammatiken.

Das Frühneuhochdeutsche grenzt sich innersprachlich durch Veränderungen ab, die unsere heutige Standardsprachekennzeichnen, z. B. die nhd. Diphthongierung, die mitteldeutsche Monophthongierung, Apokope, Synkope und die Dehnung in offener Tonsilbe.
Allerdings gehen die Entwicklungen in den einzelnen Regionen unterschiedlich schnell vor sich. Die frühesten schriftlichen Reflexe der Diphthongierung finden sich bereits im 12. Jahrhundert in Kärntner und Südtiroler Urkunden, von wo aus sie sich im 13. Jahrhundert in den bairischen Raum ausbreitet und dort wohl schon zu mhd. Zeit gesprochen worden ist. Sie breitet sich schneller nach Norden als in den Westen aus.
Die konsequente Weiterentwicklung der abgeschwächten Nebensilbenvokale ist deren gänzliche Tilgung (Apokope, Synkope): mhd. genâde > frünhd. gnade, mhd. herze > frünhd. herz. Im Bereich der Orthographie dehnt sich die Grossschreibung der Nomen aus und in der Zeichensetzung wird das intonatorische vom grammatischen Prinzip abgelöst.

Marx Rumpolt: New Kochbuch, Frankfurt a. M. 1581.
Von Fröschen. Fol. 137a

Von Froeschen seind fu:enfferley Speiß vnd
Trachten zu machen.

GEbackene Froesch/ saltzs/ pfeffers vnnd mehls eyn/ backs auß
heisser Butter/ daß sie fein resch seyn/ gib sie warm auff den
Tisch/ vnnd bestraew sie mit Jngwer. Wiltu aber ein saure
Bru:eh darueber geben/ so nimb Agrastwasser mit den Beeren/
nimb auch Butter darein/ vnnd ein wenig Pfeffer/ laß darmit
auffsieden/ vnd geuß es vber die Gebackene Froesch/ so wirt es gutvnd
wolgeschmack. Vnnd wenn du die Froesch wilt zurichten/ so zeuch die Haut darvon
hinweg/ nimb das Hindertheil/ vnd quells in heissem Wasser/ saltz vnnd pfeffers/
vnnd laß ein weil darinnen ligen/ so zeucht es viel Wasser darauß/
darnach kanstu es zum backen oder zum eynmachen nemmen.

Der Textausschnitt zeigt durchgängig Formen mit der nhd. Diphthongierung, die mitteldt. Monophthonge werden ebenfalls verschriftlicht gut, zu, Brüh. Apokopierte Formensind Froesch, Brueh, weil; bei den Verbformen saltzs (= salze sie), pfeffers (pfeffere sie) etc. sind die Personalpronomen teilweise an das Verb angetreten (= enklitisches Pronomen).

Texterfassung und Korrektur: Thomas Gloning, XII/2000http://www.uni-giessen.de/gloning/tx/rumpfros.htm(17.05.2010)