Weistümer zählen zu den Rechtsquellen. Für die ländliche Gesellschaft des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit gehören sie zu den wichtigsten Quellen. Obwohl vielfach ediert, bleibt bei den Weistümern die Arbeit im Archiv wichtig, weil die Forschung und die Editionen den Überlieferungsgeschichten dieser Quellen bisher kaum Beachtung geschenkt haben.
Custumals
Unter Weistümern versteht man eine Vielzahl mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Rechtsquellen, deren gemeinsamer Nenner die Entstehung im Wege gerichtsförmiger Weisung durch rechtskundige Männer der jeweiligen Gerichtsgemeinschaft ist.
Als Forschungsbegriff wird das Weistum in der Regel in inhaltlich begrenztem Sinn für die ländlichen Rechtsbeziehungen verwendet. In den Quellen aus dem heutigen Gebiet der Schweiz heissen solche Texte vielfach Offnungen. Die Rechtsverhältnisse eines Hofes oder Niedergerichtes werden dargelegt, das Recht wird geoffnet (ahdt. offanon: verkünden). Als weitere Quellentermini tauchen Hofrodel, Hofrecht oder Dingrodel in der deutschsprachigen Schweiz, Ehaft oder Ehafttaiding in Süddeutschland und Taiding oder Banntaiding in Österreich auf.
Eine präzise Kategorisierung dieser Termini existiert bisher nicht. Vielfach werden sie unter dem Begriff «ländliche Rechtsquellen» zusammengefasst.
Die Weistumsforschung beginnt im 19. Jahrhundert mit Jacob Grimm. Er sucht und sammelt Weistümer aus dem deutschsprachigen Raum und stuft sie als Aufzeichnungen von alten germanischen, tief im Volk verankerten Rechtsvorstellungen ein (Weisthümer, 7 Bde., 1840-78). Eine über Jahrhunderte andauernde kontinuierliche Praxis der Rechtsweisung ist aber weder nachweisbar noch wahrscheinlich.
In den 1930er und 1940er Jahren wurde die Frage diskutiert, ob Weistümer eher die bäuerliche Rechtsgewohnheit wiedergeben oder herrschaftlich gesetzte Rechte darstellen. Diese Frage ist so nicht zu entscheiden. Beide Elemente sind in den Weistümern enthalten. Als gesichert gilt, dass die Initiative zur Aufzeichnung von Weistümern zumeist von der Herrschaft ausging.
Durch die Schriftlichkeitsdiskussion in der Geschichtswissenschaft wird den Weistümern wieder mehr Beachtung geschenkt. Dabei wird auch das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit neu bewertet.
Die klassische Weistumsforschung geht davon aus, dass Offnungen die verschriftete Form mündlich gewiesenen Gewohnheitsrechts darstellen. Im Mittelpunkt des Interesses standen lange Zeit die Inhalte der Offnungen. Dabei blieben jedoch einige Aspekte mehr oder weniger unberücksichtigt:
– | Weistümer werden häufig über Jahrhunderte unverändert abgeschrieben. Das Verhältnis zur Rechtswirklichkeit verändert sich also laufend. |
– | Oft werden Offnungen aus verschiedenen Texten kompiliert. Anhand inhaltlicher Übereinstimmungen können so genannte Weistumsfamilien unterschieden werden, d.h. verschiedene Dörfer (meist derselben Herrschaft) haben nahezu dieselbe Offnung. |
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Bei einigen Weistümern sind verschiedene Redaktionsstufen, redaktionelle Eingriffe und (nachträgliche) Überarbeitungen festzustellen, deren jeweilige Funktion zu klären ist. |
Es ist also nach dem konkreten Gebrauch der Weistümer zu fragen.
Der Duktus der Mündlichkeit, der in manchen Offnungen vorherrscht, könnte dazu gedient haben, die Authentizität der Dokumente zu belegen und die Rechtmässigkeit des Verfahrens zu dokumentieren. Die Antworten der Bauern auf Fragen des Herrn sollen zudem belegen, dass die Herrschaft nicht (wie bei Urkunden) nur beansprucht, sondern auch faktisch durchgesetzt wird.
Die Anfänge der Weistumsüberlieferung gehen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Quantitativ liegt der Höhepunkt der überlieferten Weistümer im 15. und 16. Jahrhundert.
Weistümer sind sehr unterschiedlich überliefert: in Rödelform, in Kopialbüchern, in Offnungssammlungen, in Urbaren, als Konzept, als Urkunde usw. Häufig sind Intertextualitäten mit Urkunden oder anderen Weistümern feststellbar, die darauf hindeuten, dass Weistümer nicht nur als wortgetreue Verschriftung des mündlichen Frage- und Antwortspiels der Gerichtssitzungen gedeutet werden können. Zudem gibt es oft kein «Original», da meist weder der Aussteller bekannt ist, noch Beglaubigungsmittel vorhanden sind.
Die Überlieferungsgeschichten von Weistümern sind bisher kaum berücksichtigt worden, weil man die Relevanz schriftlicher Operationen (Kompilieren, Übersetzen, Kopieren usw.) für diese «mündliche» Quellengattung unterschätzt hat. Wie die neuere Forschung zeigt, können Weistümer auch dazu dienen, eine klösterliche Tradition der Herrschaftsausübung herzustellen.
Inhaltlich regeln Weistümer das Verhältnis zwischen Herrschaft und Bauern, sowie das Verhältnis unter den Bauern einer Gerichts- oder Nutzungsgemeinschaft. Eher selten sind Regelungen, die das Verhältnis der unterschiedlichen Herrschaftsträger zueinander betreffen.
Im Vordergrund stehen Bestimmungen zu Abgaben und Frondiensten, Nutzungsrechten an Wald, Wasser und Weide sowie Vorschriften bezüglich Zuständigkeit, Besetzung, Verfahren und Teilnahmepflicht am herrschaftlichen Gericht. Darüber hinaus enthalten Weistümer eine Vielzahl disparater Einzelregelungen. Wie vielfältig diese Regeln sind, zeigt ein Blick in die Einsiedler Offnungen. Dort finden sich z.B. Einträge zum Todfallrecht, zur Heirat von Ungenossamen aber auch zu Bussen bei Verstössen gegen Mass- und Gewichtsvorschriften.
Die Reihenfolge der Bestimmungen folgt oft keinem ersichtlichen Prinzip. Sie stimmt aber in verschiedenen Offnungen überein, so dass Verwandtschaften aufgezeigt werden können. Ähnlichkeiten zeigen sich auch in der Behandlung bestimmter Sachverhalte und im Weglassen anderer. Zum Teil stimmen die Inhalte wörtlich überein.