Die lateinische Sprache im Mittelalter kennt zwei Möglichkeiten, einen Text oder Teile davon in Versen zu strukturieren. Einerseits werden aus der klassischen Antike die geregelte Abfolge von kurzen und langen Silben übernommen. Dieses Strukturierungsprinzip wird als metrische Dichtung bezeichnet. Zum anderen kommt die sogenannte rhythmische Dichtung zum Einsatz, die auf bestimmten Regelmässigkeiten in der Verteilung der betonten und unbetonten Silben beruht. Diese zweite Form kann als typisch mittelalterlich bezeichnet werden, obwohl auch sie ihre Wurzeln in der Spätantike hat. Zu beiden Formen kann der Reim als Schmuckelement hinzukommen.
Die Versform, insbesondere die beiden wichtigsten Formen des metrischen Verses, der Hexameter und das Distichon (bestehend aus einem Hexameter und einem Pentameter), gehört zu den wesentlichen Gestaltungsmitteln mittelalterlicher Autoren. Sie wird sowohl in der Kleinform angewendet (Inschrift, Titulus, Widmung) als auch bei den umfangreichen Textformen (Heldenepos, Lehrgedicht). Die Kenntnis der grundlegenden Versformen erleichtert auch das Verstehen bestimmter lexikalischer und syntaktischer Besonderheiten in einem Text.