Bis ins 15. Jahrhundert sind grosse Teile der Bevölkerung einnamig, d.h. dass die Menschen nur über einen Rufnamen verfügen. Die frühen germanischen Rufnamen sind zweigliedrig (Ger+linde, Her+mann); die zwei Glieder sind bis ins 4. Jahrhundert sinnvoll aufeinander bezogen, danach aber rein mechanisch kombiniert. Ab dem 12. Jahrhundert werden fremdsprachige Namen, v. a. aus dem Neuen Testament häufiger: Philipp, Simon, Paul(us), Matthäus usw.
Ausgehend von städtischen und adeligen Bevölkerungsschichten treten ab dem 13. Jahrhundert zu den Rufnamen Beinamen auf. Diese Beinamen sind aber lediglich okkasionelle Zusätze, die nicht an folgende Generationen weitervererbt werden. Sie beziehen sich also nur auf einen Träger und verschwinden mit dessen Tod. Ziel in Schriftstücken ist es, Personen v. a. in einem juristischen oder wirtschaftlichen Rahmen (Steuern, Erbrecht, Handelsbeziehungen) eindeutiger zu identifizieren. Ab dem 15. Jahrhundert wird Zweinamigkeit üblich, allerdings ist Namenwechsel bei einer Person bzw. zwischen den Generationen verbreitet. Beinamen, woraus später die Familiennamen entstehen, lassen sich semantisch in folgende Gruppen einteilen:
1. Berufsnamen (Meier)
2. Übernamen (Jung, Bruder)
3. Herkunftsnamen (Regensberg)
4. Wohnstättennamen (Regensberg)
5. Vaternamen (Heinrich). Da meistens Männer urkunden, sind v. a. männliche Personennamen überliefert.
Ausschnitt aus der Transkription der Urkunde Lütolds von Regensberg vom 29. Mai 1285:
Allen, die disen brief ansehent alde hoerint lesen, künde ich Lütoldder junge von Regensberg, das ich von dem gotshuse zi dien Einsidillen zi rechtem lêne han die vogtei der hoeven zi Tellinkon und zi Boppensol ubir lüte und ubir guot und Egelolf der meier von Affoltre und Heinrich sin bruodir und Ruodolf sin bruodir der da zi Hoengge sizit der meier [...] |
Männliche Rufnamen: zweigliedrige germanische Namenbildung:
Lütold: liut 'Menschen, Volk' + waltan (zu -old abgeschwächt) 'herrschen, regieren'
Egelolf: agil, egil 'Schärfe, Ecke' + wolf 'Wolf' (zu -olfabgeschwächt)
Hein-rich: heim 'Heim, Heimat' + rîchi 'Herrschaft, Herrscher'
Ruodolf: hruod 'Ruhm' + wolf 'Wolf'
Okkasionelle Zusätze bzw. Beinamen:
der junge: Übername, kann sich zum FamN Jung entwickeln
von Regensberg: Wohn- oder Herkunftsname, in diesen Gruppen gibt es häufig Berührungspunkte
der meier: Berufsbezeichnung, FamN Meier, Meyer, Maier etc.
sin bruodir: Übername, kann sich zum FamN Bruderentwickeln