Es gibt keinen bestimmten Sprachzustand der lateinischen Sprache, den man als mittelalterliches Latein (oder «Mittellatein») schlechthin bezeichnen könnte. Viele vermeintliche Besonderheiten lautlicher, morphologischer oder syntaktischer Art lassen sich schon im antiken oder spätantiken Latein fassen.
Bestimmte Bereiche des frühmittelalterlichen Lateins – zum Beispiel die Urkundensprache – sind immerhin reich an Abweichungen von den sprachlichen Normen des klassischen Lateins. Auch im gepflegten Latein der Karolingerzeit und des Hoch- und Spätmittelalters finden sich bestimmte Sprachzüge, die man als typisch mittelalterlich bezeichnen kann. In dieser Zeitspanne bilden sich zudem viele alternative Normen heraus, die selbst bei Schriftstellern mit hohen stilistischen Ansprüchen vorkommen.
Der mittelalterliche Sprachgebrauch ist jedoch in keinem einzelnen Fall vollständig an die Stelle der antiken Sprachnormen getreten. Vielmehr konnten sich verschiedene Alternativformen und -konstruktionen nebeneinander behaupten.