Gelatine-Trockenplatte

Die Geschichte der Fotografie wird einerseits als technikgeschichtliche Fortschrittserzählung konzipiert, als ständige Weiterentwicklung und Verbesserung der fotografischen Verfahren, der Kameras und des dazugehörigen Materials. Andererseits wird sie von Anfang an von zwei unterschiedlichen Positionen bestimmt: der Auffassung vom Bild als objektivem, evidenten Zeichen der Wirklichkeit oder als ein Effekt seiner Materialität, der technischen und chemischen Prozesse, die es hervorbringen.

Mit den technischen Entwicklungen stieg auch die Zahl derer, die selbst fotografierten, Fotografien anboten, verwendeten, erwarben und sammelten. Die Fotografie entwickelte sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. mehr und mehr zu einem Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens.

Im ersten Teil dieses kurzen Überblicks zur Fotografiegeschichte werden die bedeutendsten technischen Innovationen vorgestellt, die die Verbreitung der Fotografie wesentlich beeinflussten. Anschliessend werden die Verbreitung der Fotografie und ihre Anwendungsbereiche kurz dargestellt.

Die Geschichte der Fotografie ist in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten ausführlich dokumentiert. Ein Überblick über weiterführende Literatur und eine Zeitleiste zur Fotografiegeschichte finden sich bei den Ressourcen. Die Photobibliothek.ch informiert ebenfalls umfassend über die Geschichte der Fotografie und bietet zahlreiche Beispielbilder von Fotografien, Kameras und Zubehör aus allen Epochen.

Erste bekannte Darstellung einer Camera obscura, in: Gemma Frisius, Rainer: De radio astronomico et geometrico liber, Antwerpen 1545, S. 32. Online: Münchner DigitalisierungsZentrum, Digitale Bibliothek [Stand: 9.4.2014].

Die Fotografie war keine zufällige Erfindung, sondern das Ergebnis einer jahrhundertelangen Beschäftigung mit Optik, Mechanik und Chemie, an der zahlreiche Wissenschaftler beteiligt waren.
Bereits im 4. Jh.v.Ch. beschrieb Aristoteles das optische Prinzip der Camera obscura, das auch der Fotografie zugrunde liegt: Wenn Licht durch ein kleines Loch in einen dunklen Raum fällt, wird auf der Gegenwand ein auf dem Kopf stehendes Abbild erzeugt. Im Mittelalter wurde die Beschäftigung mit optischen Gesetzen fortgesetzt und um die Erkenntnis erweitert, dass mit Linsen ein helleres und schärferes Bild erzeugt werden kann. Auch in der Praxis fand die Camera obscura Verwendung, etwa in der Astronomie oder in der Malerei. Als praktische Zeichenhilfe dienten die Weiterentwicklungen der Camera obscura, allen voran die Laterna magica und die Camera lucida.
Seit dem 18. Jh. machten Wissenschaftler zudem Experimente mit chemischen Substanzen, die sich unter dem Einfluss von Licht verändern. Johann Heinrich Schulze war 1727 der erste, der die Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen nachweisen konnte. Gegen Ende des Jahrhunderts gelang es dann, mithilfe der Camera obscura Lichtbilder auf Silbersalzpapieren hervorzubringen.
Zu Beginn des 19. Jh. waren also sowohl die optischen als auch die chemischen Voraussetzungen zur Abbildung von Motiven bekannt. Es gelang aber vorerst nicht, die «Lichtzeichnungen» dauerhaft auf einen Bildträger zu fixieren.

Seit dem Ende des 13. Jh. wurde die Camera obscura von Astronomen zur Sonnenbeobachtung verwendet, um nicht direkt ins helle Licht sehen zu müssen. Diese Darstellung der Beobachtung einer Sonnenfinsternis von 1545 des Gelehrten Gemma R. Frisius ist die erste bekannte Illustration einer Camera obscura.

Nadar: «Joseph Nicéphore Niépce, 1765-1833, Fotopionier», Nadar, o.O 19.Jh., ohne weitere Angaben. Online: Wikimedia Commons [Stand: 9.4.2014].

Sabatier-Blot, Jean-Babtiste: «L.J.M. Daguerre im Jahr 1844», o.O. 1844, George Eastman House. Online: Wikimedia Commons [Stand: 9.4.2014].

o.F.: «William Henry Fox Talbot», o.O 1844, in: Kempe, Fritz, Daguerreotypie in Deutschland, Seebruck am Chiemsee 1979. Online: Wikimedia Commons [Stand: 9.4.2014].

Wie auch einigen anderen gelang es dem Franzosen Joseph Nicéphore Niépce schon zu Beginn des 19. Jh., mit der Camera obscura Bilder auf Silbersalzpapieren hervorzubringen. Einige Jahre später war er dann der erste, der die lichtempfindlichen Bilder auch fixieren konnte: 1826 machte er mit seinem Verfahren, der Héliographie, die erste fotografische Aufnahme.
Niépces späterer Geschäftspartner Louis Jacques Mandé Daguerre erfand 1837 das erste dauerhafte Bildaufzeichnungsverfahren – die nach ihm benannte Daguerreotypie. Dabei wird eine Kupferplatte mit Silberchlorid beschichtet, ein Bild darauf projiziert und über Quecksilberdampf entwickelt. Weil das Bild direkt auf dem Bildträger hervorgebracht wird, handelt es sich bei Daguerreotypien immer um Unikate. 1839 wurde diese bahnbrechende Erfindung der Öffentlichkeit präsentiert.
Fast zur selben Zeit, aber unabhängig von den Entwicklungen in Frankreich, machte auch der Engländer William Henry Fox Talbot erste Aufnahmen. 1840 präsentierte er ein Verfahren, bei dem ein Jodsilberpapier belichtet wurde. Dadurch entstand ein Negativ, von dem beliebig viele Abzüge gemacht werden konnten. Die Kalotypie, auch Talbotypie genannt, bildet die Grundlage für alle späteren Negativ-Positiv-Verfahren.
Sowohl die Daguerreotypie und die Kalotypie als auch die Fotomaterialien, die für diese beiden Verfahren verwendet werden, wurden in der Folgezeit ständig verändert, wodurch zahlreiche neue Verfahren entstanden sind.

Bickell, Ludwig: «Stadtansicht von Marburg von SO», Deutschland 1867-91, Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahmenummer 810.044.a © Heinrich Stürzl. Online: Wikimedia Commons [Stand: 9.4.2014].

1851 veröffentlichte der Fotograf Frederick Scott Arthur ein fotografisches Verfahren, das die Negativ-Positiv-Technik entscheidend verbesserte und dadurch das bis anhin dominante Verfahren der Daguerreotypie weitgehend verdrängte. Für das Negativ wurde anstelle von Papier eine Glasplatte verwendet, die mit einer Kollodiumemulsion übergossen, in noch feuchtem Zustand entwickelt und danach sofort fixiert wurde. In diesem nassen Kollodiumverfahren wurde ein Negativ hergestellt, von dem anschliessend beliebig viele Abzüge auf Papier gemacht werden konnten. Diese neue Technik brachte nicht nur eine bedeutende qualitative Verbesserung der Fotografien mit sich, sondern auch viel kürzere Belichtungszeiten.
Das nasse Kollodiumverfahren war allerdings sehr aufwändig: Die Herstellung eines Negatives benötigte rund 20 technische Schritte, von denen die meisten an Ort und Stelle erfolgen mussten. Insbesondere im Freien war daher das Fotografieren sehr umständlich. Zudem war die dafür benötigte Ausrüstung inklusive Dunkelkammer schwer und unhandlich. So blieb die Fotografie nach wie vor eine Angelegenheit der Pioniere und die Anzahl der produzierten Negative bescheiden.

Dieses Glasnegativ wurde im nassen Kollodiumverfahren hergestellt. Im Gegensatz zum Positiv sind die Farben oder Grauwerte in den umgekehrten Abstufungen aufgezeichnet. Von einem Negativ können beliebig viele positive Abzüge erstellt werden.

o.A.: «Verpackung für AGFA Glasplatten von 1880», o.O. ca. 1880, ohne weitere Angaben. Online: Wikmedia commons [Stand: 9.4.2014].

Das nasse Kollodiumverfahren wurde rund 20 Jahre später durch das Gelatine-Trockenverfahren weitgehend verdrängt. 1871 veröffentlichte der britische Arzt Richard Leach Maddox dieses Verfahren, das er im Rahmen seiner bakteriologischen Forschung entwickelt hatte. Die grosse Neuerung bestand darin, dass die mit einer Gelatineemulsion beschichteten Glasplatten haltbar waren und nicht mehr unmittelbar vor und nach der Aufnahme präpariert und fixiert werden mussten.
Das Gelatine-Trockenverfahren wurde in den folgenden Jahren insbesondere bezüglich der Lichtempfindlichkeit der Glasplatten verbessert. Die Belichtungszeit wurde dadurch stark reduziert, sodass nun auch Momentaufnahmen möglich wurden. Mit der Einführung und Weiterentwicklung des Trockenplatten-Verfahrens waren Dunkelkammern vor Ort nicht mehr nötig, es konnte auch auf ein Stativ verzichtet werden.
Weiter vereinfacht wurde das Fotografieren in den 1880er Jahren, als industriell hergestellte Gelatineplatten auf den Markt kamen. Diese konnten nun direkt in die Kameras geschoben werden, sodass das Präparieren des Negativmaterials schliesslich ganz wegfiel.
Die starke Vereinfachung der Aufnahmen führte dazu, dass die Arbeit des Fotografierens ortsunabhängiger und unkomplizierter wurde, sodass auch immer mehr Amateurinnen und Amateure ohne langwierige Ausbildung fotografieren konnten.

In solchen Verpackungen konnten die Trockenplatte ab den 1880er Jahren gekauft und anschliessend direkt verwendet werden.

o.A.: «You press the button, we do the rest», USA 1889, George Eastman House. Online: Wikimedia commons [Stand: 9.4.2014].

Mit dem Ziel, die relativ schweren und zerbrechlichen Glasplatten zu ersetzen, wurden seit den 1870er Jahren Versuche unternommen, flexiblere Bildträger zu entwickeln. Leon Warnerke erfand eine Rollkassette mit Negativpapier, das zuerst mit Kollodium, später mit einer Gelatineemulsion beschichtet war. Eine entscheidende Verbesserung brachte aber vor allem der von Hannibal Goodwin 1887 entwickelte transparente Rollfilm aus Zelluloid, ein fotografischer Film, der auf einer Spule aufgerollt ist und mit dem mehrere Aufnahmen hintereinander möglich wurden. Aufgrund seiner leichten Brennbarkeit wurde der Zelluloidfilm in den 1920er Jahren durch den Azetatfilm ersetzt, auf den in den 1950er Jahren der Polyesterfilm folgte.
Praktische Verwendung fand der Rollfilm ab 1888/9, als George Eastman die Kodak Nr. 1, einen handlichen und einfach zu bedienenden Apparat mit einem Fixfokusobjekt, auf den Markt brachte. Nun wurde es möglich, einen ganzen Film von 100 Bildern abzufotografieren. Eine Neuerung war zudem das Angebot eines Fotoservices: Die Filme konnten nun zur Entwicklung einem Fotolabor übergeben werden.
Der Entwicklung des Rollfilms gab insbesondere der Amateurfotografie weiteren Aufschwung. Die Fotografie wurde wesentlich vereinfacht: Weil der Plattenwechsel entfiel, konnten nun mehrere Motive hintereinander abgelichtet werden, die Bedienung der Kamera wurde einfacher und vor allem musste die Entwicklung der Negative und Abzüge nicht mehr selbst durchgeführt werden.

Der Werbeslogan «You press the button – we do the rest» entsprach Eastmans Vision der 'Fotografie für jedermann'. Die Kodak-Kamera war mit einem Film ausgestattet, bei dem die Entwicklung und die Herstellung der Abzüge im Preis bereits inbegriffen waren. Man schickte den belichteten Film ein und erhielt neben den fertigen Abzügen – für einen kleinen Aufpreis – auch einen neuen Film zurück.

Du Hauron, Louis Ducos : «Still life with rooster», o.O. 1869-1879, George Eastman House Collection, Accession Number: 1982:1568:0001. Online: flickr, [Stand: 9.4.2014]. Courtesy of George Eastman House, International Museum of Photography and Film.

Trotz zahlreicher Experimente, fotografische Abbildungen in Farbe herzustellen, gab es bis ins 20. Jh. kein praktikables Farbfotografieverfahren. Aus diesem Grund wurden die Fotografien in der Anfangszeit von Hand koloriert. Insbesondere Porträtaufnahmen auf Salzpapier aus den 1850er Jahren wurden teilweise so stark übermalt, dass die fotografische Unterlage kaum noch erkennbar ist.
1861 gelang es James Clerk Maxwell, das erste Farbbild herzustellen: Er fotografierte ein Motiv dreimal durch einen Rot-, Grün- und Blaufilter, stellte daraus Diapositive her und projizierte diese durch Farbfilter deckungsgleich an eine Wand. Weder Maxwells Verfahren noch die zahlreichen weiteren Experimente zur Farbwiedergabe mit drei Bildebenen waren aber in der Praxis anwendbar. Erst den Brüdern Lumière gelang es mit der Autochrom-Platte, mit einer einzigen Aufnahme ein Farbbild zu erzeugen und dieses Verfahren ab 1907 kommerziell zu nutzen.
Massentauglich wurde die Farbfotografie erst in den 1930er Jahren: Die Fotounternehmen Kodak und Agfa entwickelten fast zeitgleich Mehrschichtenfilme für Farbdias. Praktisch in Gebrauch kam das Positiv-Negativ-Verfahren für Fotografien 1942 mit dem ersten Negativ-Rollfilm Kodacolor und dem Farbpapier. Die Farbfotografie fand in der Folge vor allem unter den Amateuren sowie in der Mode- und Werbefotografie rasch breite Verwendung.

Auch Louis Ducos du Hauron gilt als einer der Pioniere der Farbfotografie: 1868 liess er mehrere Farbverfahren patentieren und veröffentlichte diese in einem Buch. Diese Dreifarben-Fotografie von 1879 ist eine der ältesten erhalten gebliebenen Farbfotografien.

Gosebruch, Frank: Ohne Titel, Schweiz 2011 © Frank Gosebruch. Online: Wikimedia Commons, [Stand: 5.11.2013].

Nicht nur die Weiterentwicklung der fotografischen Verfahren und Bildträger war entscheidend für die Steigerung der Bildqualität und die Vereinfachung des Fotografierens, sondern auch die technischen Veränderungen der Kameras und des Zubehörs.
Seit Beginn der Fotografie wurden die Fotoapparate zunehmend kleiner, handlicher, billiger und einfacher in der Bedienung. In den 1880er Jahren kamen zahlreiche tragbare Handkameras auf den Markt, die nun meist mit einem Plattenmagazin ausgestattet waren, sodass mehrere Aufnahmen ohne Nachladen möglich wurden.
Eine Voraussetzung für das Fotografieren ohne Stativ und für Momentaufnahmen ist eine kurze Belichtungszeit. Diese hängt einerseits von der Lichtempfindlichkeit des Fotomaterials, andererseits aber auch von der Lichtstärke des Objektivs ab. Dank der chemischen und technischen Neuerungen sank die Belichtungszeit seit 1839 von mehreren Minuten auf den Bruchteil einer Sekunde. Dies wiederum erforderte die Entwicklung von Kameraverschlüssen, die sehr schnelle und präzise regulierte Aufnahmezeiten zuliessen. Im 20. Jh. wurden die Kameras und die Bildformate weiterhin verkleinert, doch Präzision und Automatik konnten gesteigert werden.
Eine einschneidende Wende in der Geschichte der Fotografie brachte die Entwicklung der Digitalkamera seit den 1970er Jahren. Mit der Digitalfotografie wird die Fotografie nicht mehr chemisch, sondern auf elektronischem Weg produziert. Die Entwicklung der Digitalfotografie veränderte nicht nur die Fotobranche grundlegend, sondern auch den Umgang mit der Fotografie.

Hier sind eine Kollodiumkamera für Nassplatten (Baujahr 1868, mehrfach umgebaut!) und die Spiegelreflexkamera Nikon F (Baujahr ca. 1970) im Grössenvergleich zu sehen.

o.F.: «Daily Graphic Nsp. March 4, 1880, page 38, bottom left 'A scene in Shantytown N.Y.'», USA 1880, Library of Congress, Prints and Photographs Online Catalog (PPOC), Reproduction Number: LC-USZ62-71644. Online: Library of Congress, [Stand: 2.4.2014].

Die Fotografie hielt bald Einzug in gedruckte Publikationen. Da die fotomechanische Vervielfältigung aber technisch noch unausgereift und teuer war, wurden die Fotografien anfänglich vorwiegend als Stiche reproduziert. Die Fotografie musste dabei zuerst in eine Druckform aus Holz, Stahl oder Kupfer übertragen werden.
Parallel zur Weiterentwicklung der fotografischen Verfahren verbesserten sich auch die Reproduktionstechniken: Mit Lichtdruck, dem ersten fotomechanischen Reproduktionsverfahren, und der Heliogravure wurde es in den 1870er Jahren drucktechnisch möglich, Fotografien hochwertig wiederzugeben. Der massenhafte Druck von Bildern setzte aber erst mit der Erfindung der Autotypie 1881 ein. Die Autotypie ist eine Rastertechnik, mit der die Bilder zusammen mit dem Text direkt gedruckt werden können. Damit wurden die Reproduktionskosten stark gesenkt und die Vervielfältigungsmöglichkeit fast unbegrenzt.
Davon profitierten anfänglich vor allem die illustrierten Zeitschriften, die mit ihren grossen Auflagen Fotografien einem breiten Publikum bekannt und zugänglich machten – auch denjenigen, die selbst nicht fotografierten. Vermehrt wurden Fotografien auch in der Presse abgedruckt. Es dauerte aber bis in die 1920er Jahre, bis die fotomechanischen Reproduktionen die handgefertigten Illustrationen endgültig abgelöst hatten.

Dies ist eine Abbildung der ersten mechanisch reproduzierte Fotografie, die in einer Zeitung veröffentlicht wurde. Steven H. Horger publizierte diese gerasterte Halbtonfotografie 1881 im New Yorker Daily Graphic.

o.A.: «Le photographe dans les voyages d'exploration», o.O. o.D., in: La Nature. Revue des sciences et de leurs applications aux arts et à l'industrie, Deuxième année, premier semestre, n° 27 à 52 (1874), p. 12. Online: Le Conservatoire numérique des Arts & Métiers, [Stand: 9.4.2014].

Nach der Präsentation der Daguerreotypie 1839 war das Interesse an der Fotografie gross und schon bald begannen einige Fotografen, sich professionell mit der Herstellung von Porträtaufnahmen zu beschäftigen. Bereits in den 1850er Jahren hatten sich in den meisten grösseren Städten der Welt Fotostudios etabliert. Das Hauptgeschäft der Studios war neben den Porträtaufnahmen später auch die Produktion von Postkarten sowie die Ausarbeitung des Negativmaterials. Gegen Ende des 19. Jh. erlebte die Berufsfotografie eine zunehmende Spezialisierung, die sich an bestimmte Klientel oder Genres richtete.
Parallel zur Berufsfotografie entwickelte sich die Amateurfotografie. Beflügelt wurde die private Fotografie vor allem ab den 1870er Jahren durch verschiedene technische Entwicklungen – wie etwa handlichere Kameras oder die Gelatine-Trockenplatte –, sinkende Preise für fotografisches Material sowie die Möglichkeit, Laborarbeiten den Fotoateliers zu übergeben.
In den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg stieg das Angebot günstiger Fotoapparate und in den beiden Weltkriegen nahmen zahlreiche Soldaten ihre privaten Kameras mit an die Kriegsfront. Spätestens seit den 1950er Jahren fand die Fotografie massenhafte Verbreitung und das Knipsen wurde zu einem festen Bestandteil der sich herausbildenden Konsum- und Freizeitgesellschaft. Damit veränderten sich auch die Bildinhalte: Immer häufiger wurden private Anlässe und schöne Momente fotografiert und schliesslich geriet auch der Alltag vor die Kamera.

Das Fotografieren war bis Ende des 19. Jh. ein aufwändiges Unterfangen: Man benötigte dazu eine schwere Kamera, zerbrechliche Fotoplatten, aufgrund der langen Belichtungszeiten ein Stativ, verschiedene Chemikalien sowie eine Dunkelkammer mit allem Zubehör, da die Fotoplatten unmittelbar vor und nach der Aufnahme präpariert werden mussten. Kein Wunder also, dass sich nur wenige Leute das Fotografieren leisten konnten.

Weehler, A.H.: «A photographer appears to be photographing himself in a photographic studio», Berlin o.D., Library of Congress, Prints and Photographs Online Catalog (PPOC), Reproduction Number: LC-USZ62-19393. Online: Library of Congress, [Stand: 9.4.2014].

Das Porträt war seit jeher ein beliebtes Mittel der Selbstinszenierung, das allerdings nur Privilegierten offen stand. Die Fotografie bot neue Möglichkeiten, sich porträtieren zu lassen. Anfänglich konnten es sich nur Angehörige der gehobenen Schichten leisten, sich fotografisch abbilden zu lassen, auch wenn eine Fotografie sehr viel günstiger als ein Ölbild war. In den Porträtateliers, die vor allem in den 1850er und 1860er Jahren prosperierten, wurden Darstellungskonventionen bezüglich der einzunehmenden Pose, der Requisiten und Arrangements standardisiert.
Eine Popularisierung erfuhr das Porträt mit der Carte-de-Visite, die Adolphe-Eugene Disdéri 1854 patentieren liess. Diese Porträtaufnahmen im standardisierten Format einer Visitenkarte wurden jeweils in mehreren Abzügen und zu viel niedrigeren Preisen produziert, wodurch das Porträt breiteren Gesellschaftsschichten zugänglich wurde. In «unterbürgerlichen Schichten» beschränkte sich die Fotografie jedoch noch bis ins 20. Jh. auf besondere Anlässe, zu denen man sich fotografieren liess.
Mit den verbesserten Aufnahmemöglichkeiten löste sich die Fotografie zunehmend vom professionellen Studio und wurde gleichzeitig erschwinglicher. Die Fotografen lichteten Hochzeiten, Familienfeste und spezielle Anlässe vermehrt im Freien ab und erhielten zunehmend Konkurrenz von Amateurfotografinnen und -fotografen. Im 20. Jh. löste sich auch die Porträtfotografie von den konventionellen Darstellungsformen und das individuelle Bild rückte in den Vordergrund.

In der Frühzeit der Fotografie mussten die Porträtierten aufgrund der langen Belichtungszeiten minutenlang bewegungslos ausharren. Man nahm deswegen Posevorrichtungen zu Hilfe, die den Porträtierten in den damals charakteristischen Stellungen den Aufnahmevorgang unbewegt überdauern liessen.

o.A.: «Carte-de-visite portrait album of the Ayrton family», o.O 1864-65, © The British Library Board. Online: British Library, Learning Victorians, The rise of technology and industry, [Stand: 9.4.2014].

Als es mit dem nassen Kollodiumverfahren möglich wurde, beliebig viele Abzüge eines Negativs herzustellen, stieg die Zahl der produzierten Fotografien stark an. In der Folge begann man damit, die nun viel erschwinglicheren Fotografien zu sammeln, zu verschenken und zu tauschen. Mit der enormen Popularität der Carte-de-Visite wurde das Porträtsammeln ab den 1850er Jahren zur Mode.
Anfänglich wurden vor allem Fotografien von Familienangehörigen und Freunden gesammelt, doch schon bald gesellten sich auch Bilder von bekannten Persönlichkeiten dazu. Es bildeten sich Verlage, die nun auch Fotografien von Landschaften und Denkmälern sowie Bevölkerungsgruppen aus der ganzen Welt kommerziell vertrieben.
Mit der Sammelmode etablierte sich das Fotoalbum als beliebter Aufbewahrungsort. Die Alben der 1840er Jahren bestanden aus Kartonblättern, eingefasst in Leder oder Kunststoff. Später kamen auch Steckalben, Papieralben mit Fotoecken und schliesslich Alben mit Zellophantaschen in Umlauf. Die Sammelnden gestalteten ihre Alben nach eigenem Geschmack und Interesse oder kauften vorgefertigte Fotobücher, die von Fotografen und Verlagen zum Verkauf anboten wurden. Das Bild des Fotoalbums wandelte sich mit der Ausbreitung der Fotografie: Je mehr selber fotografiert wurde, umso persönlicher wurden die Inhalte der Fotoalben.
Fotografien wurden aber nicht nur in Alben aufbewahrt und präsentiert. Beliebt waren auch Bilderrahmen, Etuis für Daguerreotypien, Leporellos, Hängevorrichtungen für Fensterbilder sowie Fotohüllen und -mappen in allen Formaten.

Mit dem Porträtsammeln entstand ein neuer Albumtyp: das Steckalbum. Dieses war mit Schlitzen versehen, in die man die Fotografien einsteckte und jederzeit wieder herausnehmen konnte. Beliebt wurden in den 1860er Jahren auch Steckalben mit Kulissen im speziellen Format der Carte-de-Visite.

o.F.: «Mrs. Antoine Claudet, with probably mother or mother-in-law and dog», o.O. ca. 1853., Science Museum, ohne Referenznummer. Online: Europeana, [Stand: 9.4.2014].

Die Fotografie erschien im 19. und 20. Jh. in zahlreichen Formen und Formaten, von denen hier diejenigen drei vorgestellt werden, die besonders zur Ausbreitung, massenhaften Produktion und Kommerzialisierung der Fotografie beitrugen:

  • Das Prinzip der Stereoskopie war schon seit langem bekannt und bald nach der Einführung der Daguerreotypie wurden erste Stereofotografien angefertigt: Zwei nur wenig verschobene Aufnahmen desselben Motives, die bei der Betrachtung einen räumlichen Eindruck vermitteln. 1847 erfand David Brewster die Stereokamera, mit der beide Aufnahmen auf einmal gemacht werden konnten. Ab den 1850er Jahren wurden massenweise Stereoskopien produziert und Europa und die USA wurden von einem regelrechten «Stereoboom» erfasst.

  • Ein ebenso grosser Erfolg waren auch Carte-de-Visite, auf Karton aufgezogene Porträtbilder im Format 6 x 9cm, von Adolphe-Eugène Disdéri 1854 patentiert. Dank der Verkleinerung des Formates und der Herstellung mehrerer Abzüge wurden die Kosten der Fotografien stark gesenkt, sodass sich immer breitere Gesellschaftsschichten das Porträt leisten konnten. Die Carte-de-Visite erlangte ungeheure Popularität und brachte das Sammeln von Porträts in Mode.

  • Gegen Ende des 19. Jh. gelangten schliesslich Bilder aus der ganzen Welt massenhaft in Umlauf: Mit der ersten gedruckten Ansichtskarte von 1889 setzte die millionenfache Reproduktion von Sehenswürdigkeiten, Anlässen, Portraits berühmter Persönlichkeiten und vieler weiterer Sujets ein. Von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg erlebte Europa eine wahre Postkarten-Euphorie und die Ansichtskarte wurde zum Massenkommunikationsmittel.

Die Stereoskopie beruht auf dem Prinzip, wonach das Augenpaar zwei leicht verschobene Ansichten eines Ausschnittes aufnimmt, die im Gehirn zu einem räumlichen Bild zusammengefügt werden. Die (kolorierte) Daguerreotypie wird durch ein Stereoskop betrachtet.

Scherl, Aug.:«Anthropometrische Signalementskarte der königl. Polizei-Behörde in Berlin», Deutschland 1898, in: Friedrich, Paul: Handbuch der kriminalistischen Photographie für Beamte der Gerichte, der Staatsanwaltschaften und der Sicherheitsbehörden, Berlin 1900, S. 13. Online: Internet Archive, [Stand: 9.4.2014].

Die Fotografie dient nicht nur der privaten Selbstdarstellung und Erinnerung, sondern kennt auch zahlreiche weitere Verwendungsformen in den unterschiedlichsten Bereichen. Wenn auch von Anfang immer wieder Kritik am «authentischen Bild» geäussert wurde, galt die Fotografie insbesondere im 19. Jh. gemeinhin als genaues, wahrheits- und detailgetreues Medium und wurde daher auch zur Dokumentation, Information und Kommunikation verwendet.
Bildberichterstattungen, Reportagen und Dokumentationen entwickelten sich zu zentralen Verwendungsbereichen der Fotografie. Fotografisch festgehalten wurden beispielsweise Katastrophen und Kriege, aber auch soziale Missstände, industrielle Betriebe oder fremde Länder. Gleichzeit wurde die Fotografie immer auch zu propagandistischen Zwecken verwendet.
In der Wissenschaft diente die Fotografie sowohl als empirisches Hilfsmittel wie auch zur Untermauerung und Illustration von Forschungsergebnissen. Sie fand in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Zweigen Anwendung: Von der Ethnologie und Anthropologie über die Naturwissenschaften bis hin zur Medizin, Archäologie und Kriminologie. Mithilfe der Fotografie sollte der jeweilige Forschungsgegenstand erschlossen, klassifiziert und beobachtet werden.
Die Fotografie wurde aber nicht nur als «Abbildung der Wirklichkeit» eingesetzt, sondern als ästhetisches Objekt auch in der Kunst, Mode und Werbung verwendet.

Die Fotografie wird bis heute auch zur Identifikation von Personen verwendet – nicht nur als Passfotos für Ausweise, sondern auch bei der Verbrechensbekämpfung. Erste «Verbrecherfotografien» wurden schon in den 1850er Jahren gemacht und gegen Ende des Jahrhunderts wurde die fotografische Erfassung von Delinquenten standardisiert.