Die philologisch-kritische Methode versucht aus allen überlieferten Textzeugen den originalen oder den ältesten Text (Archetyp) herzustellen. Dieses Verfahren ist jedoch problematisch, weil sehr oft kein Original (Autograph) mehr vorhanden ist oder weil Texte in sehr verschiedenen Varianten im Umlauf sind, ohne dass klar wäre, welcher Textzeuge Vorrang beanspruchen kann.
Bei manchen Texten entfaltet nicht das Original, sondern eine spätere Fassung die grösste Wirkung. Dann ist für viele Fragestellungen diese Version von grösserem Interesse als ein kaum beachtetes Original. Ausserdem enthalten gerade Interpolationen (eingeschobene und angehängte Textteile) oft wichtige Informationen zur Funktion der Texte.
Es ist deshalb nicht möglich, allgemein gültige Editionsgrundsätze festzulegen. Du wirst im Einzelfall entscheiden müssen, ob Du einer einzelnen Handschrift folgst (Leithandschriftenprinzip) und die Varianten nur im Apparat angibst, ob Du verschiedene Versionen synoptisch (vollständig nebeneinander) wiedergibst oder ob Du aus verschiedenen Textzeugen einen Originaltext rekonstruierst.
Wichtig ist, dass Du diese Entscheidungen in der Einleitung erläuterst, begründest und nachvollziehbar machst.